Die Kinderfresserin

The Children Eater

Bald ist wieder Halloween. Ich merke, wie ich immer unruhiger werde, mein Herz schlägt schneller, meine Hände, mein ganzer Körper fängt an zu zittern. Ich bin jetzt 50 Jahre alt und all das liegt so furchtbar lange zurück, aber ich weiß, es ist nicht vorbei, es kommt zurück.

Wie jedes Jahr gehe ich buche einen Flug nach Orlando. Am Airport steht bereits ein Mietwagen für mich breit. Ich fahre zum Cash und Carry Markt und kaufe neue Patronen, dann fahre ich direkt nach Kissimmee, über die Interstate, vorbei an all den Seen aus denen ab und zu die Augen eines Alligators herausblitzen.

Ich fahre direkt zu John, der immer noch Sheriff ist und meine Waffen für mich aufbewahrt, er händigt sie mir aus und wir gehen zum Schießstand. Ich überprüfe meine Waffen und die Munition, danach steige ich wieder in den Wagen und lege die Waffen auf den Beifahrersitz.

 

Dann warte ich bis es dunkel wird und dann werde ich die Straßen auf und abfahren, bis ich es wieder sehe.

Und während ich warte, sehe ich alles wieder vor mir, als wäre es gestern gewesen.

 

Es war Halloween Mitte der 60er Jahre. Lyndon B. Johnson war unser Präsident. Es war Krieg in Vietnam, aber wir Kinder bekamen davon nichts mit.

Wir freuten uns auf Halloween, wir verkleideten uns und wollten losziehen umd Kekse und Schokolade zu fordern. Unsere kleine Gemeinde im Zentrum Florida war wie immer gruselig geschmückt. Vor jedem Haus lagen  Kürbisse und hingen falsche Spinnweben mit riesigen Spielzeugspinnen.

Walt Disney World gab es noch nicht und wir feierte Halloween wie unzählige andere US Kleinstädte.

Ich ging rüber zu Tobby. Jim und Andrea und Jeanny waren bereits da. Tobby´s Mutter bot uns etwas zu trinken an, aber wir waren alle schon aufgeregt und wollten endlich los, es war schon dunkel und die ersten Gruppen von kleinen Vampiren, Werwölfen, Hexen und Gouhls waren schon unterwegs. Endlich hielt ein Auto vor dem Haus und Larry´s Vater lieferte Larry, Karen und den dicken Johnny ab. Wir alle waren verkleidet, Johnny als Universal-Werwolf, Larry und Karen als Gomez und Morticia, Larry als Vampir, Jeanny als Bezaubernde Jeannie, Andrea als Leiche, Jim als Mumie und ich selbst als bluttriefender Maniac mit einer Spielzeug-Axt und einer echten deutschen Pickelhaube aus der Kaiserzeit, die meinem Großvater gehört hatte, lange bevor er in den 20ern in die USA auswanderte um hier sein Glück zu machen.

 

Tobby´s ältere Schwester sollte auf uns aufpassen, während wir loszogen. Unsere Eltern sahen es eigentlich nicht gerne, wenn wir Kinder allein nachts durch die Straßen zogen und man hörte auch immer wieder von Kindern, die in der Halloweennacht verschwanden oder von bösen Menschen, die zerbrochene Rasierklingen in die Kekse steckten, damit sich die Kinder daran verletzen sollten.

Tobby´s Schwester Amanda war schon auf der High School, sie war sehr, sehr schön und ich war ein wenig verknallt in sie, und freute mich, dass sie uns begleiten würde.

Sie war nochmal auf ihr Zimmer gegangen, um sich einen Mantel zu holen, kam aber lange Zeit nicht wieder, wir wurden ungeduldig und Tobby wollte gerade los, um sie zu holen, als sie plötzlich in der Tür stand, uns verschlug es die Sprache, sie hatte sich das unglaublichste Halloween-Kostüm gemacht, dass wir jemals gesehen hatten. Sie war verkleidet als böse, alte Hexe, mit krummer Nase, langen Ohren, und bunter Rock und Bluse, es war unglaublich, sie sah aus wie aus einem Horrorfilm.

 

Sie schritt flinken Schrittes zur Tür und machte uns ein Zeichen mit ihrem Zeigefinger, ihr zu folgen.

Johlend stürmten wir aus dem Haus und gingen die Strasse hinauf, klopften an jede Tür und forderten drohend unseren Halloween Tribut. Wir wechselten uns ab beim Tragen der Tasche, die immer schwerer wurde von Haus zu Haus, je mehr Süßigkeiten wir darin verstauten, bis wir sie schließlich jeweils zu zweit tragen mussten.

 

Amanda ging immer etwas weiter hinter uns, sie hielt den dicken Johnny an der Hand, was mich sehr neidisch machte, da ich sehr gerne selbst ihre Hand gehalten hätte, aber der abend hatte erst angefangen und ich durfte hoffen, später selbst an die Reihe zu kommen, jetzt war alles auch viel zu aufregend. Viele andere verkleidete Kinder und Erwachsene kamen uns entgegen und wi versuchten herauszufinden, wer sich hinter den unheimlichen Masken verbarg. Ich dachte mir nichts wirklich dabei, als der dicke Jimmy anfing herumzujammern, Amanda würde seine Hand viel zu fest drücken und ihm weh tun, ich wunderte mich allenfalls ein wenig, da Jimmy nun wirklich ziemlich kräftig gebaut war und ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese wunderschöne Amanda, mit ihren kleinen Händen ihm irgendwie weh tun könnte.

 

Wir zogen von Haus zu Haus und irgendwann bemerkte ich, dass Amanda nun nicht mehr Jimmy an der Hand hielt, sondern Andrea. Mir fiel da noch nicht auf, dass Jimmy verschwunden war, ich freute mich nur, dass Amanda, wie ich es erhofft hatte, uns wohl der Reihe nach an der Hand nehmen würde und freute mich, bald selbst ihre warme Hand halten zu können und ich nahm mir vor aufzupassen, dass ich der nächste sein würde.

Das war gar nicht so einfach, denn Amanda ging immer noch immer ein Stück

hinter uns, zusammen mit Andrea und wenn wir an eine Haustür klopften, blieb sie stets vorne an der Strasse und beobachtet uns aufmerksam.

 

Als wir wieder ein Haus weiterzogen, ergriff plötzlich eine Hand die meine, mit unglaublich festem Druck. Ich zuckte zusammen, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Amanda ging neben mir in ihrem schauderhaften Hexenkostüm. Ich bat sie, nicht so fest zu drücken, aber sie reagierte nicht. Ich sah mich um, Wir waren weniger als vorher. Andrea war nicht mehr bei uns und auch von dem dicken Jimmy war nichts zu sehen. "Wo sind denn Andrea und Jimmy?" fragte ich Amanda, aber Amanda grinste nur und lachte leise und dreckig.

Wir waren wieder zurückgefallen und die anderen Kinder liefen eine Auffahrt hoch zu dem Haus der Cauffields. Ich bekam es mit der Angst.Jimmy und Andrea waren verschwunden und Amanda kam mir plötzlich so fremd vor in ihrem Hexenkostüm und ich fragte mich, ob das wirklich Amanda war. Während die anderen Kinder bei den Cauffields Süßigkeiten einforderten, zog mich Amanda immer weiter weg, in ein Gebüsch und legte ihre Hand um meinen Hals. Ich rang nach Luft und hatte plötzlich fürchterliche Angst. Plötzlich hörte ich eine Polizeisirene und mehrer Autos, die in der Nähe des Gebüsches hielten. Ich hörte die Stimme des Sheriffs, und die Stimmen der Eltern von Tobby und die von  Jimmy´s Vater und auch die Stimme meiner Eltern, dann verlor ich das Bewußtstein.

 

Als ich wieder  zu mir kam, hielt mich meine Mutter in ihren Armen, sie weinte und streichelte mir immer wieder übers Gesicht. Amanda war verschwunden, genau wie Jimmy und Andrea und die Erwachsenen schrien verzweifelt herum und der Sheriff gab Kommandos und wir Kinder wurden in die Autos geschoben und weggefahren.

Die Erwachsenen sagten uns die nächsten Tage nicht,was passiert war, aber es musste etwas furchtbares geschehen sein. Jimmy und Andrea blieben verschwunden.

Erst Tage später erfuhren wir, was geschehen war. Die unheimliche Frau, die mit uns unterwegs war, war nicht Amanda. Die Frau hatte Amanda überfallen und gefesselt und geknebelt im Keller on  Tobby´s Elternhaus zurückgelassen.

Während sie mit uns unterwegs war, hat sie zunächst den dicken Jimmy und dann Andrea in ein Gebüsch verschwinden lassen. Ich wäre wohl der nächste gewesen, wenn Amanda es nicht geschafft hätte, sich von ihren Fesseln zu befreien und ihre Elten zu alarmieren, Die riefen die anderen Eltern und den Sheriff und sie fanden uns gerade noch rechtzeitig um uns vor der unheimlichen Frau zu retten. Mir läuft es noch heute eiskalt den Rücken hinunter, wenn ich daran denke, dass diese alte Hexe tatsächlich so aussah und das alles gar keine Maske oder Schminke war, wie wir alle geglaubt hatten. Jimmy und Andrea aber blieben verschwunden. Es wurden Suchtrupps zusammengestellt, die Wälder und Sümpfe durchsucht aber nie fand sich eine Spur.

Erst viele Jahre später, als ich schon auf´s Flaggler College in St. Augustin ging, erhielt ich plötzlich Besuch von Amanda. Sie war inzwischen verheiratet und hatte zwei Kinder. Sie hatte mich angerufen und wollte mir mir sprechen, wollte mir aber am Telefon nicht sagen, worum es ging. Ich erwartete sie aufgeregt, sie war noch immer unglaublich schön, als sie aus dem Wagen stieg und auf mich zukam. Sie sah sehr ernst aus. Wir gingen hinunter zu Meer zu der alten Festung, deren Mauern aus Muschelkalk so vielen Angriffen stattgehalten haben und da erzählt mir Amanda alles.

 

Der Sheriff und seine Leute hatten tief in den Wäldern ein Hexenhaus gefunden. Im 18.Jahrhundert hatte eine Frau darin gelebt, die man der Hexerei beschuldigt und die man für schuldig befunden un gehängt hatte. Das Haus war leer, aber hinter dem Haus war ein kleiner Friedhof angelegt und auf kleinen Grabsteinen waren die Namen von verschwundenen Kindern eingraviert, sie fanden auch die Namen von Andrea und Jimmy. Die Gräber wurden geöffnet und die Skelette untersucht. Alles Kinder waren gekocht worden, die Knochen wiesen Gebißspuren auf, die darauf schließen lassen, dass das Fleisch bis auf die Knochen abgenagt wurde.

 

Ich hatte monatelang Alpträume. Die unheimliche, alte Frau hatte Jimmy und Andrea besinnungslos gewürgt, und dann zu diesem schrecklichen Ort gebracht um sie zu kochen und aufzufressen. Nur durch unglaubliches Glück war ich diesem Schicksal entgangen. Ich dachte an Andrea und Jimmy und finf hemmungslos an zu weinen. Amanda nahm mich in ihre Arme. Als ich halbwegs wieder zu Besinnung kam, nahm sie meine Hand und wir gingen den Strand entlang.

 

Nach dem Ende meines Studiums zog ich nach New York, wir alle, die überlebt hatten und auch unsere Eltern waren weggezogen. Amanda lebt in Californien.

Ich selbst komme jedes Jahr an Halloween zurück, ich überprüfe meine Waffen, und dann fahre ich die Straßen auf und ab und suche nach der alten unheimlichen Frau. Ich weiß, sie ist da. Irgendwo da darußen zwischen all den verkleideten Kindern und Erwachsenen, denen nicht klar ist, in welcher Gefahr sie alle sind.

 

Copyright 2011 by Michael Huck